Am 22. Juli 1900 wird Katharina "Käthe" Kern in Darmstadt geboren. Bereits als junges Mädchen entwickelt sie ein starkes politisches Bewusstsein – doch Käthe ist von Anfang an keine "Gefangene ihrer Zeit". Nach der Mittelschule absolviert sie eine Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten und tritt 1919 der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) bei, ein Jahr später der SPD.
Käthe Kern: "Der soll dein Herr sein? Frauen, entscheidet euch!"
In den 1920er-Jahren steigt Käthe schnell zur einflussreichen Gewerkschaftsfunktionärin auf und arbeitet unter anderem als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin beim Allgemeinen Freien Angestelltenbund. Sie übernimmt die Leitung des Frauensekretariats im SPD-Bezirksvorstand Groß-Berlin und setzt sich in dieser Position intensiv für die Rechte der Frauen und deren Gleichberechtigung ein.
Ihr Neffe, Dr. Hans Joachim Landzettel, beschreibt ihre Aktivitäten: "Sie hat in der Weimarer Zeit sehr gegen Hitler gewettert. Da war sie auf der Liste. Sie war mutig und hat gekämpft."
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ändert sich Käthes Leben dramatisch. Sie veröffentlicht eine Schrift mit der Parole "Der soll dein Herr sein? Frauen, entscheidet euch!", in der sie entschlossen gegen Hitler und die NSDAP opponiert und daraufhin von der Gestapo in "Schutzhaft" genommen wird. Trotz dieser Einschüchterungsmaßnahme bleibt Käthe standhaft und agiert ab jetzt entschlossener denn je.
Nach ihrer Freilassung schließt sich die Frauenrechtlerin dem illegalen sozialdemokratischen Untergrundnetz des Widerstandskämpfers Wilhelm Leuschner an, der sich als hessischer Innenminister und Gewerkschaftsfunktionär einen Namen gemacht hatte. Ihre Bekanntschaft reicht bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Darmstadt zurück.
Wie Käthe Kern den Widerstand unterstützt hat
Kerns Neffe äußert die Vermutung, dass es Schwärmereien oder sogar eine Liebesbeziehung zwischen den beiden gegeben haben soll; der Autor und Journalist Dr. Ludger Fittkau schließt jedoch auch eine homosexuelle Orientierung Kerns nicht aus. Landzettel erinnert sich: "Die Tante Käthe war schon eine tolle Frau. Ich glaube schon, dass sie einiges gewagt hat." Und tatsächlich wagt sie viel: Käthe unterhält enge Verbindungen zu Oppositionellen, verfasst und tippt wichtige Denkschriften, die sich mit einer Zukunft nach der Herrschaft Hitlers befassen, und übernimmt regelmäßig Aufgaben als Kurierin.
Käthe ist mehr als nur eine Aktivistin; sie ist das Herz des Widerstandsnetzwerks um Leuschner: Jahrelang ist sie die einzige Frau in der Berliner Führungszelle um Leuschner und spielt eine Schlüsselrolle bei der Planung des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.
Während die Männer in militärischen Kreisen planen, sorgt Käthe dafür, dass Informationen sicher weitergegeben und Aktionen koordiniert werden. Nach dem gescheiterten Attentat wird Leuschner gefangen genommen und exekutiert. Im Gegensatz dazu bleibt Käthe Kern unentdeckt und entkommt somit der Verhaftung und Hinrichtung.
Käthe Kerns politischer Einfluss in der DDR
Nach dem Krieg bleibt Käthe Kern in Ost-Berlin und übernimmt eine führende Rolle in der Frauenpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Sie wirkt an der Gründung des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) mit, wodurch sie zusammen mit ihren Mitgründerinnen als "Mütter der Gleichberechtigung in der DDR" bekannt wird. Somit ist sie maßgeblich an der Verfassungsgestaltung der DDR beteiligt, insbesondere an der Formulierung des Artikels 7, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau festschreibt.
Ihr Engagement und ihr unerschütterlicher Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung prägen ihr Vermächtnis. Trotz ihrer Aktivitäten im Widerstand und in der Frauenpolitik der DDR ist Käthe Kern heute vielen unbekannt. "[D]ie hessische Sozialdemokratie, in der ihre Eltern und sie gemeinsam mit Leuschner politisch sozialisiert worden waren, vergaß Käthe Kern. Wohl auch, weil sie sich für die SED entschieden hatte", stellt Fittkau fest.
Käthe Kerns Leben und Werk zeigen, wie eine Frau in Zeiten größter Not und Gefahr unerschütterlich für ihre Überzeugungen kämpft
Ihre Beiträge zur Gleichberechtigung und ihr Mut im Widerstand gegen das NS-Regime verdienen es, in Erinnerung behalten zu werden. Kern bleibt ein beeindruckendes Beispiel für Courage und Engagement, dessen Einfluss weit über ihre Lebenszeit hinaus reicht.
Ihr Vermächtnis ist ein Mahnmal für die Bedeutung des Widerstands und die Kraft des politischen Engagements, insbesondere in Zeiten der Unterdrückung und des Unrechts. Sie verstirbt am 16. April 1985 in Berlin und bietet ein Zeugnis des Mutes und der Entschlossenheit im Kampf für soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, denn wie Käthe sagt: "Man lebt ja nicht um seiner selbst willen".
Literatur und Quellen
- Bühler, Grit: (Die) Mütter der Gleichberechtigung in der DDR. Die frauenbewegte Gründerinnenzeit des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) 1945 - 1949, in: Deutschland Archiv, 7.11.2023 (Erstveröffentlichung), 7.3.2024 Aktualisierung/Postskriptum.
- Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013.
- Clark, Christopher: Gefangene der Zeit: Geschichte und Zeitlichkeit von Nebukadnezar bis Donald Trump, München 2020.
- Deutschlandfunk Kultur/Ludger Fittkau: Erinnerung an Käthe Kern. Vergessener Widerstand gegen das NS-Regime, 2022.
- Deutschlandfunk Kultur/Ludger Fittkau: Wer war Käthe Kern? Erinnerungen an eine Widerstandskämpferin des 20. Juli, Podcastsendung Fazit, 2022.
- Fittkau, Ludger: Man lebt ja nicht um seiner selbst willen. Die Frauenrechtlerin Käthe Kern und der 20. Juli 1944. Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, München 2023.
Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen Nationalsozialismus"
Die Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" stellt Frauen vor, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Diese Frauen halfen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, besorgten gefälschte Papiere, organisierten den Widerstand oder verteilten Schriften. Die Ausstellung zeigt prominente und weniger bekannte Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern und verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Widerstands sowie die Bedeutung dieser Geschichte für uns heute. Das Dossier mit den Porträts aller Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus finden Sie unter diesem Link.
Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung. Weitere Infos zur Ausstellung: ausstellung-leihen.de/frauen-widerstand-ausstellung
Diese Frauen sind Teil der Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”:
- HANSCHE, Hildegard (1896-1992)
- VADERS, Maria (1922-1996)
- INAYAT KHAN, Noor-un-Nisa (1914-1944)
- SEIDENBERGER, Maria (1927-2011)
- STREWE, Lucie (1887-1981)
- BEEK, Cato Bontjes van (1920-1943)
- MOLTKE, Freya Gräfin von (1911-2010)
- ROTHE, Margaretha (1919-1945)
- BERGER, Hilde (1914-2011)
- LEBER, Annedore (1904-1968)
- KARMINSKI, Hannah (1897-1943)
- OVEN, Margarethe von (1904-1991)
- FITTKO, Lisa (1909-2005)
- HAAG, Lina (1907-2012)
- ABEGG, Elisabeth (1882-1974)
- MENSAH-SCHRAMM, Irmela (*1945)
- REICHERT-WALD, Orli (1914-1962)
- KERN, Katharina Käthe (1900-1985)
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