Widrige Umstände stellen schon früh die Weichen im Leben von Hildegard Hansche, die 1896 im brandenburgischen Mittenwalde geboren wird und zusammen mit drei Geschwistern in Trebbin aufwächst. Denn ihren Berufswunsch, Ärztin zu werden, muss sie bereits in jungen Jahren begraben: Ihr Vater, ein nicht unvermögender Fabrikbesitzer, erblindet und kann sein Unternehmen nicht weiterführen, weshalb die Mittel für ein Studium der Tochter fehlen.
Ohne Abitur kann Hildegard Hansche jedoch am evangelischen Volksschullehrer-Seminar in Torgau zumindest das Lehrer-Examen ablegen. Weil viele Lehrer im Ersten Weltkrieg einberufen sind, wird die 18-jährige Hildegard Hansche bereits 1915 als Lehrerin in Landschulen eingesetzt. Sie unterrichtet die Kinder von polnischen Saisonarbeitern, die durch den Krieg in Deutschland gestrandet waren, und sieht dabei schon früh soziale Not und Elend: "Etwa 100 Männer, Frauen und Kinder lebten jämmerlich im einstöckigen Gebäude, gar nicht oder kaum beheizbar, der Boden war lehmgestampft, der sich bei Regenwetter in Morast verwandelte", wie sie später notierte.
Hildegard Hansches öffentliches Einstehen für Demokratie
Ein Schlüsselerlebnis wird für Hildegard Hansche die Revolution 1918, die sie als "herzbewegenden Aufschrei" empfindet, durch den sie sich zeitlebens den Gedanken nach sozialer Gerechtigkeit und Pazifismus (ihr Verlobter und ihr Bruder sind gefallen) – verpflichtet fühlt. Sie tritt in die SPD ein, holt das Abitur nach und beginnt ein Hochschulstudium der Volkswirtschaft, das sie mit einer Dissertation bei dem renommierten Soziologen und Staatsrechtler Professor Carl Grünberg abschließt.
Selbst nach der Machtergreifung der Nazis versucht Hildegard Hansche als Lehrerin alle nur möglichen pädagogischen Spielräume zu nutzen, das "Brimborium nationalsozialistischer Überheblichkeit" aus ihrem Klassenzimmer fernzuhalten und tritt auch öffentlich für ihre demokratische Gesinnung ein. Deshalb protestiert sie nach der schon von den Nazis gelenkten Reichstagswahl im März 1933 heftig dagegen, als in Osterburg, in dem sie inzwischen wieder als Lehrerin wirkt, zwei SA-Leute die Flagge der Republik vom Rathausturm reißen und zerstören. Unbeirrt steht sie auch zu ihrem jüdischen Freundeskreis:
"Es war mir durchaus unmöglich, sie nicht zu verteidigen und ihnen mit meinen schwachen Kräften nicht zu helfen. Ich korrespondierte mit ihnen, schickte ihnen Nahrung, Kleidung."
Hildegard Hansche in politischer Gefangenschaft
Als sie einen ihrer Schüler auf offener Straße schwer rügt, weil der auf einen älteren Mann mit Davidstern gespuckt hatte, wird sie – wahrscheinlich von der Hitlerjugend – denunziert, von der Gestapo stundenlang verhört, kommt in ein Zwangsarbeiterlager in Magdeburg und wird schließlich Anfang Oktober 1942 in das Frauen-KZ Ravensbrück gebracht. Im KZ wird die politische Gefangene zur anonymisierten Häftlingsnummer 14267 und ist den brutalen KZ-Prozeduren ausgeliefert. Sie arbeitet hauptsächlich in einem Werk der Firma Siemens, aber auch in der Verwaltung des KZ, dabei wird sie wegen angeblicher "Unzuverlässigkeit" denunziert und kommt für mehrere Wochen in den "Strafblock" mit besonders grausamen Bedingungen.
Kurz vor Kriegsende wird Hildegard Hansche auf einem "Todesmarsch" zusammen mit ihren KZ-Leidensgenossinnen in den noch von der Wehrmacht gehaltenen Berliner Kessel getrieben, wo sie wenig später die Kapitulation der deutschen Soldaten erlebt.
Nach Kriegsende versucht Hildegard Hansche zunächst in der Sowjetzone, der späteren DDR, Fuß zu fassen, zieht dann jedoch auf Vermittlung einer Freundin nach Singen, wird in den badischen Schuldienst übernommen und bringt es bis zur Hauptschuldirektorin in Singen und Konstanz.
Gründung der "Dr. Hildegard Hansche Stiftung"
Aus ihren eigenen leidvollen Erfahrungen heraus, die sich nie mehr wiederholen sollten, trug sich die kinderlose Hildegard Hansche immer stärker mit dem Gedanken, eine Stiftung zu gründen. Dafür setzte sie ihre Entschädigungsleistungen als NS-Opfer und ihr gesamtes Vermögen ein und hielt eisern ihr Geld zusammen. Sie habe sich nichts gegönnt und "briet ihre Bratkartoffeln mit Wasser an, um Fett zu sparen", erinnerte sich eine Freundin. Schließlich konnte sie neben einem Haus und einigen unbebauten Grundstücken zwei Millionen Mark in die "Dr. Hildegard Hansche Stiftung" einbringen.
Weil das Genehmigungsverfahren jedoch mit einigen Hürden verbunden ist, kann Hildegard Hansche die Gründung nicht mehr selbst miterleben: Sie stirbt am 23. November 1992 im Alter von 96 Jahren. Ihre Stiftung wird 1994 mit Sitz in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück gegründet und hat laut Satzung das Ziel, der Völkerverständigung zu dienen, Forschungen über den Widerstand gegen Faschismus und über das Schicksal der Inhaftierten des KZ Ravensbrück zu befördern und ein "Begegnungsort" von jungen Frauen und Männern mit Zeitzeugen zu sein.
Deshalb ist ein Herzstück der Stiftung das "Ravensbrücker Generationenforum", eine mehrtägige Begegnung von etwa 40 Jugendlichen mit KZ-Überlebenden aus verschiedenen Ländern.
Bisher konnte die Stiftung ganz im Sinne von Hildegard Hansche und ihrer lebenslangen Überzeugungen rund 220.000 Euro für 280 Projekte ausschütten.
Literatur und Quellen
- Anne-Katrin Ebert, Dr. Hildegard Hansche (1896-1992), Stiftungsvermächtnis einer Ravensbrückerin, Schriftenreihe der Dr. Hildegard Hansche Stiftung, Band 1, 1. Auflage 1996, Druckhaus Hentrich GmbH Berlin
- Simone Erpel (Hrsg), Als humanistisch denkender Mensch dem Antifaschismus verschrieben – Die Dr. Hildegard Hansche Stiftung und ihre Stifterin, 2014, schöne Drucksachen GmbH Berlin
- Website der Dr. Hildegard Hansche Stiftung
Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen Nationalsozialismus"
Die Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" stellt Frauen vor, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Diese Frauen halfen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, besorgten gefälschte Papiere, organisierten den Widerstand oder verteilten Schriften. Die Ausstellung zeigt prominente und weniger bekannte Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern und verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Widerstands sowie die Bedeutung dieser Geschichte für uns heute. Das Dossier mit den Porträts aller Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus finden Sie unter diesem Link.
Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung. Weitere Infos zur Ausstellung: ausstellung-leihen.de/frauen-widerstand-ausstellung
Diese Frauen sind Teil der Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”:
- HANSCHE, Hildegard (1896-1992)
- VADERS, Maria (1922-1996)
- INAYAT KHAN, Noor-un-Nisa (1914-1944)
- SEIDENBERGER, Maria (1927-2011)
- STREWE, Lucie (1887-1981)
- BEEK, Cato Bontjes van (1920-1943)
- MOLTKE, Freya Gräfin von (1911-2010)
- ROTHE, Margaretha (1919-1945)
- BERGER, Hilde (1914-2011)
- LEBER, Annedore (1904-1968)
- KARMINSKI, Hannah (1897-1943)
- OVEN, Margarethe von (1904-1991)
- FITTKO, Lisa (1909-2005)
- HAAG, Lina (1907-2012)
- ABEGG, Elisabeth (1882-1974)
- MENSAH-SCHRAMM, Irmela (*1945)
- REICHERT-WALD, Orli (1914-1962)
- KERN, Katharina Käthe (1900-1985)
Hildegard Hansche Broschüre
Broschüre über die Dr. Hildegard Hansche Stiftung und ihre Stifterin.
Die Broschüre kann als PDF unter diesem Link heruntergeladen werden.
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