Elizabeth "Lisa" Fittko (geb. Ekstein), geboren 1909 in Uzhorod, wird von Kindheit an von politischem Aufruhr und einem starken Drang nach Gerechtigkeit geprägt. Ihr jüdisches Elternhaus ist ein Zentrum politischer Diskussion und sozialer Themen. Ihr politisch aktiver Vater hatte bereits während des Ersten Weltkriegs die pazifistische und sozialdemokratische Zeitschrift "Die Waage" in Wien herausgegeben. Diese Umgebung sensibilisiert Lisa früh für soziale Spannungen und politische Kämpfe.
Aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln erfährt Lisa schon in der Schulzeit Antisemitismus. Ihre Eltern vermitteln ihr dabei eine wichtige Lektion: "Es sind dumme Leute, die ihre Hassgefühle gegenüber einer bestimmten Gruppe ausleben." Sie erinnern sie stets daran, dass Menschen nicht nach ihrer Herkunft beurteilt werden sollten und betonen dabei:
"Wir sind in erster Linie Menschen, nicht Juden."
Ihre frühen Jahre in Uzhorod, das im Laufe ihrer Geschichte mehrfach die Staatenzugehörigkeit wechselte – von der österreichisch-ungarischen Monarchie und Tschechien bis hin zur Sowjetunion – sowie der Umzug der Familie von Wien nach Berlin nach dem Ersten Weltkrieg, beeinflussten Lisa.
Ihre resolute Haltung gegen Ungerechtigkeit und ihre lebenslange Hingabe für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus führten dazu, dass sie als Teenager in den Sozialistischen Schülerbund und den Kommunistischen Jugendverband (KJVD) eintritt und später in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Lisa ist nicht nur in politischen Kreisen aktiv, sondern engagiert sich auch auf der Straße bei Demonstrationen und Straßenkämpfen (beispielsweise beim "Blutmai" 1929 in Berlin) und erstellt antinazistische Flugblätter.
Lisa Fittkos Überlebenswillen und Widerstandsarbeit
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Deutschland übernehmen, beginnt für Fittko eine gefährliche Odyssee quer durch Europa. Ihre Flucht führt sie zunächst über die Tschechoslowakei, wo sie ihren Mann Johannes "Hans" kennenlernt, über die Schweiz und die Niederlande nach Paris. In Paris wird sie jedoch als "feindliche" Ausländerin zusammen mit anderen Frauen festgenommen und anschließend in das größte französische Internierungslager, das Camp de Gurs, transportiert. In der "Hölle von Gurs", wie sie das Lager nennt, wird sie im Mai und Juni 1940 festgehalten. Zu ihrer Zeit dort sagt Lisa:
"Meine Erinnerungen sind verschwommen, nur eine farblose Chronik ist mir erhalten geblieben."
Ihr gelingt die Flucht und über Umwege erreicht sie Banyuls-sur-Mer, einen Ort in der sogenannten Zone libre. "Man muss sich zu helfen wissen, sich einen Weg aus dem Zusammenbruch bahnen – so lebte und überlebte man." Obwohl die Vichy-Regierung, die die Zone libre verwaltet und mit dem NS-Regime kooperiert, die Autonomie von Jüdinnen, Juden und anderen Verfolgten einschränkt und repressive Maßnahmen gegen sie verhängt, bietet die Region den Fittkos einen gewissen Spielraum, um ihre Widerstandsarbeit fortzusetzen.
Lisa Firrkos F-Route über die Berge
Das Paar unterstützt das "Emergency Rescue Committee" und organisiert ein Netzwerk zur Fluchthilfe, das zahlreichen Verfolgten hilft, die gefährliche Überquerung der Pyrenäen zur spanischen Grenze zu meistern. Zwischen Oktober 1940 und April 1941 helfen sie mehrmals wöchentlich Flüchtenden, die Grenze zu überwinden und in den spanischen Grenzort Portbou zu gelangen.
Ihre bekannte "F(ittko)-Route", die später nach dem von Lisa persönlich begleiteten Philosophen Walter Benjamin benannt wurde ("Chemin Walter Benjamin"), wird zu einem symbolischen Pfad der Hoffnung für Menschen auf der Flucht vor dem faschistischen Terror. Lisa reflektiert ihre Rolle als Fluchthelferin:
"Dass wir als Teil des Widerstandes in der Lage waren, anderen Leuten zu helfen zu überleben, ist ein sehr schönes Gefühl."
Benjamin erreicht unter ihrer Begleitung die Freiheit, doch kurz nach der Überquerung der Grenze, in einem kleinen Hotel in Portbou, trifft er die verzweifelte Entscheidung, sich das Leben zu nehmen. Er trägt bis zuletzt eine schwarze Aktentasche bei sich, die sein angeblich wichtigstes Manuskript enthalten haben soll – ein Dokument, nach dem bis heute vergeblich gesucht wird.
1941 emigrieren Lisa und ihr Mann nach Kuba und ziehen 1948 in die Vereinigten Staaten nach Chicago. In den USA setzt Lisa ihre Arbeit als engagierte (Friedens-) Aktivistin fort. Ihre tiefgreifenden Erlebnisse und Begegnungen während der dunkelsten Tage Europas verarbeitet sie in ihren Büchern "Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41" und "Solidarität unerwünscht. Meine Flucht durch Europa. Erinnerungen 1933-1940". Diese Bücher sind nicht nur Zeugnisse ihres Lebens und Wirkens, sondern auch historische Dokumentationen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.
Bis zu ihrem Tod im Jahr 2005 und darüber hinaus bleibt Lisa Fittko eine unvergessene Zeugin und Heldin ihrer Zeit als Antifaschistin, Widerstandskämpferin und politische Emigrantin. Doch trotz der heldenhaften Rollen, die sie und ihr Mann spielten, blieb Lisa bescheiden: "Als Helden haben wir uns nie betrachtet."

(Quelle: Hoffmann & Campe Verlag GmbH)
ISBN: 978-3-455-01680-2
Literatur und Quellen
- Bolbecher, Siglinde / Kaiser, Konstantin (Hrsgg.): Lexikon der österreichischen Exilliteratur, München 2000.
- Fittko, Lisa: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41, München/Wien 1985.
- Fittko, Lisa: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41, München 2004.
- Fittko, Lisa: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41, Ravensburg 1994 (Ravensburger Taschenbuch 4090).
- Fittko, Lisa: Solidarität unerwünscht. Meine Flucht durch Europa. Erinnerungen 1933-1940, München/Wien 1992.
- Fittko, Lisa: Solidarität unerwünscht. Meine Flucht durch Europa. Erinnerungen 1933-1940, Frankfurt am Main 1994.
- Gesellschaft für Exilforschung/Bannasch, Bettina Bannasch/Bischoff, Doerte/ Dogramaci, Burcu u.a. (Hrsgg.), Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Band 35, München 2017.
- Gisbertz, Anna-Katharina: Unversöhnlichkeit aus Solidarität. Poetiken nach Auschwitz von Ilse Aichinger und Lisa Fittko, in: Forkel, Robert / Pick, Bianca Patricia (Hrsgg.): Literarische Interventionen im deutsch-jüdischen Versöhnungsdiskurs seit 1945, Bielefeld 2023, S. 127-144.
- Maldonado-Alemán, Manuel / Gansel, Carsten (Hrsg.): Literarische Inszenierungen von Geschichte. Formen und Erinnerungen in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 und 1989, S. 211-219.
- Pötscher, Sylvia: Leben im Exil in Frankreich. Eine vergleichende Analyse der autobiographischen Exil- und Widerstandsdarstellungen im Werk der Autorinnen Lisa Fittko und Hertha Pauli, Wien 2009.
- Stodolsky, Catherine: Lisa Fittko, in: Spalek, John/Feilchenfeldt, Konrad et al. (Hrsgg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. USA. Teil III, Bern/München 2001.
- Weissweiler, Eva: Lisa Fittko. Biographie einer Fluchthelferin, Hamburg 2024.
- Interview von Harald von Troschke mit Lisa Fittko, 1987.
Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen Nationalsozialismus"
Die Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" stellt Frauen vor, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Diese Frauen halfen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, besorgten gefälschte Papiere, organisierten den Widerstand oder verteilten Schriften. Die Ausstellung zeigt prominente und weniger bekannte Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern und verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Widerstands sowie die Bedeutung dieser Geschichte für uns heute. Das Dossier mit den Porträts aller Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus finden Sie unter diesem Link.
Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung. Weitere Infos zur Ausstellung: ausstellung-leihen.de/frauen-widerstand-ausstellung
Diese Frauen sind Teil der Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”:
- HANSCHE, Hildegard (1896-1992)
- VADERS, Maria (1922-1996)
- INAYAT KHAN, Noor-un-Nisa (1914-1944)
- SEIDENBERGER, Maria (1927-2011)
- STREWE, Lucie (1887-1981)
- BEEK, Cato Bontjes van (1920-1943)
- MOLTKE, Freya Gräfin von (1911-2010)
- ROTHE, Margaretha (1919-1945)
- BERGER, Hilde (1914-2011)
- LEBER, Annedore (1904-1968)
- KARMINSKI, Hannah (1897-1943)
- OVEN, Margarethe von (1904-1991)
- FITTKO, Lisa (1909-2005)
- HAAG, Lina (1907-2012)
- ABEGG, Elisabeth (1882-1974)
- MENSAH-SCHRAMM, Irmela (*1945)
- REICHERT-WALD, Orli (1914-1962)
- KERN, Katharina Käthe (1900-1985)
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