Nur 400 Meter trennen die Buchhandlung "Agentur des Rauhen Hauses" am Jungfernstieg 50 nahe der Binnenalster vom Haus an der Dammtorstraße 25. Dort hat die Gestapo Ende Juli 1943, nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg, vorübergehend ihre Büros eingerichtet.

Mit unerbittlicher Härte verfolgt die politische Polizei alle Gegner des nationalsozialistischen Staates. Menschen wie die, die nur ein paar Hundert Meter weiter im Keller der Buchhandlung unter Lebensgefahr Flugblätter gegen das NS-Regime drucken. Eine von ihnen ist die 24-jährige Medizinstudentin Margaretha Rothe, genannt Gretha.

"Man traf sich hier im größeren Kreise, laufend kamen neue, ebenfalls oppositionell gestimmte Menschen hinzu und beinahe systematisch wurden hier auf hohem Niveau alle uns junge Menschen bewegende Fragen diskutiert", schreibt Rothes Freund Heinz Kucharski über diese Zusammenkünfte.

Kucharski war eine der zentralen Figuren der Gruppe, die später den Namen "Hamburger Weiße Rose" bekommen sollte. "(Der) Verlauf (der Abende) war durch eine ausgesprochen revolutionäre Aufbruchstimmung gekennzeichnet, die sich nach den schweren Luftangriffen noch verstärkte."

Margaretha Rothe und die Weiße Rose Hamburg: "Gegen Hitler und den Krieg"

Unter den jungen Leuten sind auch Traute Lafrenz und Hans Leipelt. Sie haben Kontakte nach München und zur dortigen Widerstandsgruppe "Weiße Rose" und bringen deren Flugblätter nach Hamburg. Hier werden sie von der Gruppe um Kucharski vervielfältigt und verteilt.

Schon 1940, kurz nach Beginn des Krieges, treffen sich die jungen Menschen in Buchhandlungen und Wohnungen, um über Politik zu diskutieren.

In der Anklageschrift gegen Rothe vom 23. Februar 1945 heißt es: "Dabei hatte sie nach ihrer Angabe den Wunsch, durch die Erörterung politischer Fragen im staatsfeindlichen Sinn zu einer Änderung der politischen Verhältnisse in Deutschland beizutragen."

Die Gruppe hört auch verbotene Radiosender aus dem Ausland und druckt deren Frequenzen und Sendezeiten auf Zettel mit der Überschrift "Gegen Hitler und Krieg". Rothe besorgt zu diesem Zweck einen kleinen Druckkasten. Zusammen mit Kucharski verteilt sie die Zettel in U-Bahnen und Telefonzellen.

Während sich viele Mitglieder der "Hamburger Weißen Rose" im Studium kennenlernen, treffen sich Rothe, Kucharski und Lafrenz bereits 1936 als Schüler bei einem Ernteeinsatz während der Sommerferien. Gunther Staudacher, Rothes Neffe, schreibt dazu in seinem Buch "Margaretha Rothe und die Hamburger Weiße Rose": Hier "begegneten sich drei Menschen, die sich trotz ihrer großen Wesensunterschiede in ihrer gegnerischen Einstellung zum Nationalsozialismus einig waren".

Kucharski und Lafrenz seien Gleichgesinnte gewesen, die Rothes "Drang nach Freiheit und der Ablehnung von Zwang entgegenkamen".

"An Verbote hielt sie sich ungern", schreibt Staudacher weiter. "So wollte sie sich nicht vorschreiben lassen, was sie lesen durfte und was nicht. Gretha besorgte sich Literatur bei regimekritischen Buchhändlern."

Über Kucharski und Lafrenz lernt Rothe auch die Lehrerin Erna Stahl kennen, die an der Lichtwarkschule unterrichtet hatte, die von den Nationalsozialisten wegen der "marxistischen Anschauungen" vieler Lehrer 1937 aufgelöst wurde.

Stahl organisiert Lesekreise, die die drei gemeinsam besuchen. Auch dafür wird Rothe später angeklagt, da bei diesen Abenden laut Anklageschrift "soziale und politische Fragen im kommunistisch-pazifistischen Sinne erörtert wurden".

Über Margaretha Rothe: "Vor allem zugehört, selbst kaum politisch geäußert."

Über Rothes Gedanken und Motivationen für ihre Teilnahme an den Lesekreisen und späteren Flugblatt-Aktionen sind kaum eigene Aussagen überliefert. Viele Zeitzeugen der Gruppe erzählen in der Rückschau, Rothe habe vor allem zugehört und sich kaum selbst politisch geäußert.

Lafrenz beschreibt sie als "eine ganz rührende Seele, also ein ganz völlig moralisch sauberer Mensch". Ihre "enorme Loyalität" habe aber auch dazu geführt, dass sie sich sehr von Kucharski habe beeinflussen lassen.

Der beschreibt sie später als "schlichter, bescheidener Mensch… sehr konsequent und willensstark…überhaupt kein intellektueller Typ…"

Am 9. November 1943 werden Rothe und Kucharski wegen Vorbereitung zum Hochverrat verhaftet. Nach und nach kommen mehr als 20 Mitglieder der "Hamburger Weißen Rose" in Haft. 

Nach Stationen in Gefängnissen in Hamburg, Berlin und Cottbus kommt Rothe schließlich nach Leipzig, wo sie im März 1945, geschwächt von Unterernährung in der Haft und langen Transporten in offenen Viehwaggons, an einer Lungen- und Rippenfellentzündung und schließlich an Tuberkulose erkrankt. Am 15. April 1945 stirbt sie mit nur 25 Jahren im Krankenhaus St. Jacob in Leipzig-Dösen.

Erinnerung an Margaretha Rothe

Rothes Eltern – ihr Vater war Statistiker bei der Deutsch-Amerikanischen Petroleum Gesellschaft, ihre Mutter hatte vor der Heirat in einem Modegeschäft gearbeitet – hätten sicherlich von ihren Aktivitäten gewusst, sagt Gunther Staudacher. Im Nachruf auf seine Tochter schreibt Wilhelm Rothe, er und seine Frau hätten Gretha "vor politischen Umtrieben" gewarnt. Sie sei gestorben "wegen einer maßlos aufgebauschten politischen Lappalie durch die Grausamkeit des Naziterrors".

Er spricht von einem

"starren System, das jedes eigene Denken und Handeln unmöglich machte und anstelle der stets behaupteten Freiheit die Menschen zu willenlosen Wesen herabdrückte und zum Herdenvieh machte".

In Hamburg erinnert seit 1971 eine Bronze-Gedenktafel im Audimax der Universität an Margaretha Rothe und andere widerständige Studenten. Mit den Jahren kamen weitere Tafeln und Denkmäler hinzu, die an Rothe und den "Hamburger Zweig der Weißen Rose" erinnern.

Im Stadtteil Niendorf ist seit 1982 ein Weg nach ihr benannt und seit 1988 gibt es im Stadtteil Barmbek-Nord das Margaretha-Rothe-Gymnasium. Eine Studierenden-Wohnanlage in Hamburg-Winterhude heißt seit 2016 "Margaretha-Rothe-Haus".

Auch in Leipzig erinnert seit 2021 auf dem Gelände der ehemaligen "Heilanstalt Dösen", wo Rothe starb und heute ein Wohngebiet ist, eine Straße an sie.

Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen Nationalsozialismus"

Die Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" stellt Frauen vor, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Diese Frauen halfen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, besorgten gefälschte Papiere, organisierten den Widerstand oder verteilten Schriften. Die Ausstellung zeigt prominente und weniger bekannte Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern und verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Widerstands sowie die Bedeutung dieser Geschichte für uns heute. Das Dossier mit den Porträts aller Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus finden Sie unter diesem Link.

Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung.  Weitere Infos zur Ausstellung: ausstellung-leihen.de/frauen-widerstand-ausstellung

Diese Frauen sind Teil der Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”:

  1. HANSCHE, Hildegard (1896-1992)  
  2. VADERS, Maria (1922-1996)  
  3. INAYAT KHAN, Noor-un-Nisa (1914-1944) 
  4. SEIDENBERGER, Maria (1927-2011) 
  5. STREWE, Lucie (1887-1981) 
  6. BEEK, Cato Bontjes van (1920-1943) 
  7. MOLTKE, Freya Gräfin von (1911-2010) 
  8. ROTHE, Margaretha (1919-1945) 
  9. BERGER, Hilde (1914-2011) 
  10. LEBER, Annedore (1904-1968) 
  11. KARMINSKI, Hannah (1897-1943) 
  12. OVEN, Margarethe von (1904-1991) 
  13. FITTKO, Lisa (1909-2005) 
  14. HAAG, Lina (1907-2012) 
  15. ABEGG, Elisabeth (1882-1974) 
  16. MENSAH-SCHRAMM, Irmela (*1945) 
  17. REICHERT-WALD, Orli (1914-1962)
  18. KERN, Katharina Käthe (1900-1985)

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