Bis heute ist ihres eines der wenigen Denkmäler asiatischer Frauen in Großbritannien: Nicht weit entfernt von der Universität von London steht seit 2012 im kleinen Londoner Square Park die steinerne Büste von Noor-un-Nisa Inayat Khan. Sie erinnert an die britische Kriegsheldin, die 1944 im Konzentrationslager Dachau ermordet wurde.
Noor war überzeugte Pazifistin und leistete auch als Spionin gewaltlosen Widerstand gegen den Hass des Nazi-Regimes.
Geboren wurde Noor-un-Nisa 1914 in Moskau. Ihr Vater Hazrat Inayat Khan war Gründer des Internationalen Sufi-Ordens. Wegen der Russischen Revolution zog die Familie bald nach Noors Geburt nach London um. Hier wurden ihre Geschwister Vilayat, Hidayat und Claire geboren. Als Noor 13 Jahre alt war, starb ihr Vater auf einer Reise in seine Heimat Indien.
Ab Noors sechstem Lebensjahr lebte die Familie in der dritten Hauptstadt, in der Noor-un-Nisa den größten Teil ihrer Kindheit verbringen sollte: Paris. In der französischen Metropole fand das Mädchen durch seinen Vater Zugang zur Mystik und praktizierte zum ersten Mal die sufistische Zeremonie des universalen Gottesdiensts, bei der alle Religionen der Welt auf gleiche Weise geehrt werden sollen. Früh fing sie an, sich für Musik und Literatur zu interessieren, schrieb ihren Freundinnen zu deren Geburtstagen kleine Gedichte und spielte Klavier.
Noor-un-Nisa Inayat Khans Ausbildung zur Spionin "Madeleine"
In Paris traf Noor gemeinsam mit ihrem Bruder Vilayat Jahre später die Entscheidung, für Großbritannien im Krieg zu kämpfen. Vor allem die Lehren ihres Vaters sollen es gewesen sein, die sie davon überzeugten, nicht länger passiv zu bleiben, sondern "die Aggressionen des Tyrannen zu vereiteln", wie sie meinte. Dabei vertrauten die Geschwister auf ihr Ideal der Gewaltlosigkeit.
Als die Nazis 1940 Frankreich überfielen, floh die Familie zurück nach England. Im selben Jahr warfen deutsche Flugzeuge Bomben über London ab. Als Noor das skrupellose Vorgehen Deutschlands am eigenen Leib erlebte, festigte sich ihr Beschluss, selbst tätig zu werden. Sie trat als Nora Inayat Khan der Frauenorganisation der britischen Luftwaffe WAAF (Women's Auxiliary Air Force) bei.
Ihr erster Aufenthalt war die schottische Hauptstadt Edinburgh, wo sie sechs Monate lang zur Funkerin ausgebildet wurde.
Wegen herausragender Leistung im Training und ihrer Zweisprachigkeit in Englisch und Französisch wurde Noor als Agentin des britischen Nachrichtendienstes SOE (Special Operations Executive) rekrutiert.
Es folgten weitere Monate intensiver Trainings: Noor perfektionierte in dieser Zeit nicht nur den Umgang mit dem Morsecode, sondern verbesserte auch ihre körperliche Fitness und ihren Umgang mit Sprengstoffen.
Teil ihrer Ausbildung war es zudem, Orte zu finden, an denen Abhöranlagen installiert werden konnten. Über die englische Stadt Bristol meldete sie ihren Vorgesetzten etwa: "Das gesamte Gebiet eignet sich besonders gut für Operationen."
Im Mai 1943 flog sie als erste Funkerin und Spionin unter dem Decknamen "Madeleine” in das von Deutschland besetzte Frankreich. In den Monaten erfolgreicher Spionagearbeit baute sich Noor ein Netz mit zahlreichen Kontaktpersonen auf, wurde dann aber von einer engen Vertrauten verraten. "Ich wünschte, ich wäre bei meiner Mutter", sagte sie, als ihr bewusst wurde, dass man sie bald aufspüren würde. Kurz darauf wurde die 29-Jährige von der Gestapo festgenommen.
Noor-un-Nisa Inayat Khan: Nach ihrer Hinrichtung wird sie zur Sufi-Heiligen
Während ihrer gesamten Zeit als Spionin in Frankreich trug Noor nie eine Waffe bei sich. Laut den Vorschriften für SOE-Agentinnen war das verboten, doch es entsprach ihrer pazifistischen Überzeugung. In Gefangenschaft und den zahlreichen Verhören verriet sie zu keiner Zeit Informationen oder Kontaktpersonen. Sie schaffte es sogar, mit ihren Kameradinnen zu fliehen, wurde aber kurze Zeit darauf wieder geschnappt.
Danach kam sie zuerst in die Gefängnisse in Pforzheim und Karlsruhe und schließlich als "besonders gefährliche Gefangene" ins Konzentrationslager Dachau. Als "Nacht- und Nebelgefangene" verbrachte sie dort nur eine Nacht, in der die Gefängniswärter Noor wiederholt schlugen und verhörten. Am nächsten Morgen töteten SS-Männer sie und drei weitere SOE-Agentinnen per Genickschuss. "Freiheit" soll Noor ihren Mördern noch entgegengeschrien haben.
Posthum wurden Noor-un-Nisa die höchste zivile Auszeichnung des Vereinigten Königreichs, das Georgs-Kreuz sowie das französische Kriegskreuz verliehen. Außerdem wird Noor als Sufi-Heilige und Märtyrerin verehrt. Laut Augenzeugenberichten soll Noor den Wärtern der Gestapo stets freundlich gegenübergetreten sein. Sie hasste nicht den einzelnen Menschen. Ihr Hass galt allein der menschenverachtenden NS-Ideologie.
Women’s Auxiliary Air Force (WAAF):
Das Women’s Auxiliary Air Force war die Einheit der Luftwaffe Großbritanniens, die speziell für Frauen vorgesehen war. Sie wurde 1939 als Unterstützung der Royal Air Force (RAF) gegründet. Das vorrangige Ziel war es dabei, Frauen für Aufgaben zu trainieren, die bisher von Männern verrichtet wurden, damit diese an der Front kämpfen konnten.
Oberste Kommandantin der WAAF war die Queen. Die meisten Frauen waren zwar nicht an Bord der Flugzeuge, aber für Organisation der Ausrüstung und Bedienung der Radar-Systeme zuständig. Wichtiger Bestandteil der Einheit waren die zahlreichen Krankenschwestern, die als "fliegende Nachtigallen" Soldaten auf Schlachtfeldern der Normandie versorgten. Einen Höchstwert an Mitgliedern erreichte die WAAF 1943 mit 181.000 Beschäftigten, was einem Anteil von 16 Prozent an der gesamten Luftwaffe ausmachte.
Special Operations Executive (SOE):
Die SOE war während des Zweiten Weltkriegs der Nachrichtendienst von Großbritannien. Die Spezialeinsatztruppe wurde 1940 auf Anordnung Winston Churchills gegründet. 13.000 Menschen waren bei der Organisation angestellt, von denen rund 3.200 Frauen waren.
Erklärtes Ziel der Spezialeinheit war es, dem Feind durch unkonventionelle militärische Handlungen Schaden zuzufügen. Die Frauen, die vermehrt Führungsrollen in der Organisation innehatten, waren geübt im Umgang mit Waffen. Die Sektion "F", für die Noor-un-Nisa arbeitete, war für das besetzte Frankreich zuständig. Dabei wurden den Agentinnen speziell Aufgaben zugeteilt, bei denen Männer leichter Verdacht erregten. Insgesamt dienten 41 Agentinnen in Frankreich, von denen 12 in Konzentrationslagern ermordet wurden.
Literatur und Quellen
• Shrabani Basu, 2008, Spy Princess The Life of Noor Inayat Khan,
• Cameron Davis Carlomagno, 2019, Women in a Man's War: The Employment of Female Agents in the Special Operations Executive, 1940-1946,
• Eileen Younghusband, 2011, One Woman's War.
Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen Nationalsozialismus"
Die Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" stellt Frauen vor, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Diese Frauen halfen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, besorgten gefälschte Papiere, organisierten den Widerstand oder verteilten Schriften. Die Ausstellung zeigt prominente und weniger bekannte Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern und verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Widerstands sowie die Bedeutung dieser Geschichte für uns heute. Das Dossier mit den Porträts aller Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus finden Sie unter diesem Link.
Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung. Weitere Infos zur Ausstellung: ausstellung-leihen.de/frauen-widerstand-ausstellung
Diese Frauen sind Teil der Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”:
- HANSCHE, Hildegard (1896-1992)
- VADERS, Maria (1922-1996)
- INAYAT KHAN, Noor-un-Nisa (1914-1944)
- SEIDENBERGER, Maria (1927-2011)
- STREWE, Lucie (1887-1981)
- BEEK, Cato Bontjes van (1920-1943)
- MOLTKE, Freya Gräfin von (1911-2010)
- ROTHE, Margaretha (1919-1945)
- BERGER, Hilde (1914-2011)
- LEBER, Annedore (1904-1968)
- KARMINSKI, Hannah (1897-1943)
- OVEN, Margarethe von (1904-1991)
- FITTKO, Lisa (1909-2005)
- HAAG, Lina (1907-2012)
- ABEGG, Elisabeth (1882-1974)
- MENSAH-SCHRAMM, Irmela (*1945)
- REICHERT-WALD, Orli (1914-1962)
- KERN, Katharina Käthe (1900-1985)
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