Annedore Rosenthal, wächst als Tochter eines deutschnationalen Gymnasialdirektors und Philologen auf in, wie sie sich erinnert, "der Welt bürgerlicher Vorrechte und selbstverständlicher Privilegien." Vater Rosenthal gibt dem Mädchen Privatunterricht, schickt Annedore zum Jurastudium nach München. Doch sie entscheidet anders und wird Schneiderin in Berlin, verliebt sich in den "linken Volkstribun" Leber. Eine Mesalliance! Ihre Hochzeit 1927 ist ein Akt des Widerstands. Julius Leber, im Elsass unehelich zur Welt gekommen und von einem Maurer adoptiert, wird nach seinem Studium Chefredakteur des sozialdemokratischen Lübecker Volksboten.

Die "liebe Frau Rosenthal" möge nicht böse sein, aber man "bringe es nicht übers Herz, Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl zu diesem Ereignis Glück zu wünschen", schreibt eine Freundin der Familie zur Hochzeit. Julius nennt Annedore in Anspielung an ihre Bekehrung zu sozialdemokratischen Werten "mein lieber Paulus". Erst als Julius im Anschluss an Straßenkämpfe nach der Reichstagswahl 1933 ins Gefängnis und später ins KZ kommt und Annedores (evangelischer) Vater nach antisemitischen Anfeindungen aus dem Schuldienst geworfen wird, kommen sich die Welten näher.

Annedore Leber: "Es geht darum, zu handeln."

Ab jetzt kommt es auf Annedore an. Sie läuft sich die Hacken ab, um eine Freilassung ihres Mannes zu erreichen, schreibt Briefe an die Gestapo, an Himmler, an Hitler; lange ohne Erfolg. Mit ihrem eigenem Modeatelier bringt sie, wieder zurück in Berlin, ihre zwei Kinder durch und versucht zugleich, den politischen Freundeskreis ihres Mannes zusammenzuhalten.

"Ich werde allmählich ein Asyl für Trostbedürftige, denen es äußerlich gesehen meist besser geht als mir", notiert sie. 1937 kommt Julius doch noch aus dem KZ frei – mit Schreibverbot. Auf Vermittlung von Gustav Dahrendorf (dem Vater Ralf Dahrendorfs) wird er Teilhaber einer Kohlehandlung in Schöneberg, deren Barackenbüro bald zum konspirativen Treffpunkt wird, an dem sich sozialdemokratische Hitlergegner mit gleichgesinnten kirchlichen und konservativen "Kohlekunden" austauscht.

Das Private ist politisch, und die Vermählung der "weißen und der roten Rose" – Bildungsbürgertum und Proletariat – wird zum Nucleus des Widerstands. Julius und Annedore wirken entscheidend mit, eine moralische Notgemeinschaft aus Adeligen, Militärs, Demokraten und Kommunisten mit konträren Vorstellungen von Staat und Gesellschaft auf ein Ziel einzuschwören: die Befreiung Deutschlands vom NS-Terror. Mit Moltke und Stauffenberg verbindet Leber bald eine enge Freundschaft. Dass die Pläne für eine künftige Reichsregierung, als deren Innenminister Leber im Gespräch ist, wenig gemeinsame Substanz haben, ist fürs erste einerlei: Es geht darum, zu handeln.

Annedore Lebers Lebensaufgabe: Das Vermächtnis ihres Mannes Julius Leber

Doch dazu kommt Julius Leber nicht mehr. Zwei Wochen vor dem schicksalhaften 20. Juli 1944 besucht die Gestapo die Kohlenhandlung. Wieder kommt er ins KZ. Am 5. Januar 1945 wird Julius hingerichtet. Annedore ist am Boden zerstört; in den folgenden 23 Jahren ihres Lebens trägt sie Trauerschwarz. Und beschließt, das politisch-publizistische Vermächtnis ihres Mannes fortzuleben.

1946 wird Annedore Leber Berliner Stadtverordnete und Mitherausgeberin der ersten Tageszeitung im britischen Sektor Berlins, des Telegraf. Ihre selbstgestellte Lebensaufgabe ab jetzt: das ideelle Erbe der Männer des 20. Juli weiterzutragen, zu verteidigen gegen die, die in den Widerständigen immer noch Volksverräter sehen.

Und: die in ihren Augen politisch zu passiven Frauen für die neue Republik zu gewinnen. In den ausgebauten Räumen der Kohlenhandlung gründet sie den Mosaik-Verlag und ein gleichnamiges Magazin für Frauen, das in seiner Mischung noch heute seinesgleichen sucht: Politische Essays und Frauenporträts stehen da neben Modeschnittmustern, Einrichtungs- und Überlebenstipps für Nachkriegsfrauen, Ideen für einen Stadtteil speziell für Alleinerziehende.

Dazu kommt Annedores rastlose Arbeit in der Jugendbildung, für die UNESCO, den Europäischen Rat. Ihr Credo formuliert sie am 4. Mai 1947 im Telegraf:

"Die Zeit erlaubt keinem von uns zu ruhen und auf ein Wunder zu hoffen. Was aus Deutschland wird, liegt bei uns selbst. Es liegt zum großen Teil in der Hand der Frau. Also, ihr Frauen, nur Mut!"

Annedore Leber stirbt am 28. Oktober 1968. Wer Spuren ihres Lebens sucht, findet sie in ihren Veröffentlichungen, den im Internet abrufbaren Ausgaben von Mosaik, im Annedore-Leber-Berufsbildungswerk und am Gedenkort Kohlenhandlung an der Torgauer Straße 24-25 in Berlin.

Literatur und Quellen

Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen Nationalsozialismus"

Die Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" stellt Frauen vor, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Diese Frauen halfen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, besorgten gefälschte Papiere, organisierten den Widerstand oder verteilten Schriften. Die Ausstellung zeigt prominente und weniger bekannte Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern und verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Widerstands sowie die Bedeutung dieser Geschichte für uns heute. Das Dossier mit den Porträts aller Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus finden Sie unter diesem Link.

Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung.  Weitere Infos zur Ausstellung: ausstellung-leihen.de/frauen-widerstand-ausstellung

Diese Frauen sind Teil der Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”:

  1. HANSCHE, Hildegard (1896-1992)  
  2. VADERS, Maria (1922-1996)  
  3. INAYAT KHAN, Noor-un-Nisa (1914-1944) 
  4. SEIDENBERGER, Maria (1927-2011) 
  5. STREWE, Lucie (1887-1981) 
  6. BEEK, Cato Bontjes van (1920-1943) 
  7. MOLTKE, Freya Gräfin von (1911-2010) 
  8. ROTHE, Margaretha (1919-1945) 
  9. BERGER, Hilde (1914-2011) 
  10. LEBER, Annedore (1904-1968) 
  11. KARMINSKI, Hannah (1897-1943) 
  12. OVEN, Margarethe von (1904-1991) 
  13. FITTKO, Lisa (1909-2005) 
  14. HAAG, Lina (1907-2012) 
  15. ABEGG, Elisabeth (1882-1974) 
  16. MENSAH-SCHRAMM, Irmela (*1945) 
  17. REICHERT-WALD, Orli (1914-1962)
  18. KERN, Katharina Käthe (1900-1985)

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