Elisabeth Raiser, geborene von Weizsäcker, hat eine "sehr lebendige und sehr warme Erinnerung" an ihre Patentante Margarethe von Oven. Als im Oktober 2016 für Oven eine Gedenktafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Dahlmannstr. 1 in Göttingen angebracht wird, hält Raiser eine Ansprache, die wir hier mit ihrer Erlaubnis veröffentlichen:

Ich erinnere mich sehr gut an die Wintersonntage in den Jahren 1953 bis ungefähr 1955, als meine Patentante – damals noch Margarethe von Oven - fast wöchentlich zu uns in die Bunsenstraße kam, um mit uns Kindern und unsern Eltern alle möglichen Gesellschaftsspiele zu spielen. Es war herrlich und lustig mit ihr, wir haben viel gelacht, wollten alle gewinnen, wobei Tante Övchen, wie wir sie nannten, mir manchmal dabei leise schmunzelnd den Vortritt ließ. Sie und ich waren gut verbündet, denn gegen meine Brüder hätte ich sonst oft keine Chance gehabt. Am Abend haben wir uns immer wieder gegenseitig versprochen, dass wir am kommenden Sonntag wieder zusammen spielen würden. Das ist eine herrliche, glückliche Kindheitserinnerung von mir!

Margarethe war damals für einen Teil der Vermögensverwaltung der Familie Hardenberg zuständig und dazu bestimmt, später als Äbtissin das Damenstift Kloster Wennigsen bei Hannover zu leiten. Aber dazu kam es nicht: sie heiratete 1955 mit über 51 Jahren den Grafen Wilfried von Hardenberg, Forstmeister seines Zeichens und zog zunächst mit ihm an den Rand des Solling, nach Hardegsen; nach einigen Jahren kamen sie wieder zurück nach Göttingen, wo die beiden hier in der Dahlmannstraße sehr glücklich zusammen im Ruhestand lebten, Margarethe seit 1973 als Witwe allein.

Erinnerungen an Margarethe von Oven

Aber dies ist freilich nicht der Grund, warum zu ihrem Gedenken hier eine Plakette angebracht wird. Sie hat damals, soviel ich mich erinnere, nie von ihrer Vergangenheit während der NS-Zeit erzählt - und dabei war es für sie wie für ihre Freunde eine dramatische Zeit, in der ihr ganzer Mut und ihre ganze Klugheit gefordert waren. Sie hat beides grandios eingesetzt!

Margarethe von Oven stammte aus einer Offiziersfamilie, der Vater fiel im Ersten Weltkrieg kurz vor seiner Beförderung zum Hauptmann, was für die Familie einen wirtschaftlichen Absturz bedeutete, da die Witwenrente für die Mutter minimal ausfiel. Margarethe hatte bis dahin ein eher sorgloses Leben geführt und sich in der Schule mit Erika von Falckenhayn, der späteren Frau von Henning von Tresckow, angefreundet. Das war ein Band fürs Leben und hat ihren eigenen Lebensweg entscheidend geprägt.

Zunächst musste Margarethe mit 15 oder 16 Jahren die Schule verlassen, machte eine kurze Ausbildung als Sekretärin, kam dann relativ jung als Chefsekretärin ins Reichswehrministerium zum General von Hammerstein, der 1930 zum Chef der Heeresleitung ernannt wurde. Vom Balkon ihrer Freundin Erika von Tresckow aus erlebte sie den Tag von Potsdam mit, war ganz berauscht von dem Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler, der die Versöhnung der Konservativen mit den Nationalsozialisten besiegeln sollte, berichtete ihrem Chef begeistert von diesem Moment und bekam eine erste Lektion; denn Hammerstein brummte als Antwort nur: "Nun sind Sie dem also auch auf den Leim gekrochen!"

Hammerstein zog selbst bald die Konsequenz aus seiner Ablehnung der Nationalsozialisten und demissionierte 1933, Margarethe arbeitete bei seinem Nachfolger General von Fritsch weiter und lernte in den nächsten Jahren bis zu dessen Entlassung alle wichtigen Generäle sehr gut kennen.

Sie sagte meiner Mutter, mit der sie ebenfalls eng befreundet war, damals einmal: "Weißt du, im Vorzimmer, da lassen sie sich oft gehen und sagen ihre Meinung ehrlich  man lernt sie als Menschen dabei sehr gut kennen und weiß, auf wen man sich verlassen kann, auf wen nicht."

Das wurde später sehr wichtig! Nach der Entlassung von Fritsch ging Margarethe auf Vermittlung des dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus angehörenden Generals von Stülpnagel als Chefsekretärin zunächst zum Militärattaché nach Budapest, dann nach Lissabon. Dort zog sie sich eine schwere Lungentuberkulose zu und musste zur Heilung nach St. Blasien im Schwarzwald. Das war im Sommer 1943, also mitten im Krieg. Der Arzt sagte ihr: 'Bitte meiden Sie jede Aufregung, leben Sie so ruhig wie möglich, ernähren Sie sich gut.'

Wie Margarethe von Oven den Widerstand des 20. Juli 1944 unterstützte

In diesen guten Ratschlag hinein erhielt sie einen Brief von Henning von Tresckow, in dem er sie bat, sofort nach Berlin zu kommen und in seinem Berliner Büro präsent zu sein, um die nicht militärische Kommunikation mit der Truppe im Feld zu übernehmen. Sie schilderte später sehr lebhaft, welche Angst sie packte, als sie den Brief las, denn sie wusste, was das hieß: sich mitten in den militärischen Widerstand nach Berlin zu begeben und all die Gewissenskonflikte, die Schuld und all die Risiken einer solchen Tätigkeit auf sich zu nehmen.

Im Rückblick sagte sie: "Für ein Unrecht musste man sich ja entscheiden. Also entweder man musste den Mord auf sich nehmen, oder man musste das Unrecht der Duldung des NS Staates auf sich nehmen, einen Mittelweg gab es nicht. Und diese schwere Entscheidung mit dem eigenen Gewissen auszumachen, das kann sich heute keiner mehr vorstellen. Eine Schuld musste man auf sich nehmen."

Henning von Tresckow war damals Erster Generalstabsoffizier der Heeresgruppe Mitte, und dank seines unermüdlichen Einsatzes wurde diese zum Zentrum des militärischen Widerstands gegen Hitler. Aber er war meist 1.000 Kilometer weit weg von Berlin. Seine Bundesgenossen waren Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, General Ludwig Beck, General Friedrich Olbricht und andere. Sie brauchten unbedingt absolut verschwiegene, mutige und vertrauenswürdige Mitarbeiterinnen in ihren Büros in Berlin.

Margarethe kannte die entscheidenden hohen Offiziere alle aus ihrer früheren Tätigkeit bei Hammerstein und Fritsch, auch die nicht dem Widerstand angehörenden, wie Manstein, Brauchitsch und andere, und wusste von daher genau, wem sie vertrauen konnte und bei wem sie vorsichtig sein musste. Verschwiegenheit hinter einer freundlichen und zugewandten Art des Umgangs, einer tüchtigen, pünktlichen und zuverlässigen Arbeit war das Geheimnis des Vertrauens, das ihr von allen entgegengebracht wurde. Was war nun ihre Aufgabe? Einerseits war sie, wie Tresckow es nennt, das Warenhaus für kleines Glück", das heißt sie vermittelte den Soldaten an der Front möglichst alles was sie brauchten, Decken, warme Unterwäsche, ein Telefongespräch mit der Ehefrau und ähnliche Dinge.

Das war eine harmlose Tarnung ihrer eigentlichen und konspirativen Tätigkeit: Sie schrieb nämlich immer wieder die neuesten Fassungen und Revisionen des sogenannten Walkürebefehls ihres Chefs und seiner Widerstandsfreunde, der beginnt mit dem Satz: "Der Führer Adolf Hitler ist tot ..." und dann weitergeht mit allen Einzelbefehlen für den Staatsstreich, der auf das Attentat auf Hitler folgen sollte.

In diesem Text der Operation Walküre – ein Name, den die Verschworenen vom Regime übernommen hatten, um sich zu tarnen – geht es um die Ausrufung des Ausnahmezustands, um die Übergabe der vollziehenden Gewalt, also der Exekutive, an den Befehlshaber des Ersatzheeres, um die Verhaftung der hohen Funktionäre der Partei, um die Eingliederung der Waffen-SS ins Heer, um die Befreiung der Insassen der KZs und um deren Auflösung, schließlich um die Einsetzung einer Übergangsregierung und um einen möglichst schnellen Waffenstillstand mit den Kriegsgegnern.

Margarethe von Oven schreibt die Walküre-Befehle mit Handschuhen

Margarethe schrieb immer mit Handschuhen, um jeden Fingerabdruck auf der Schreibmaschine und auf dem Papier zu vermeiden, sie schrieb nicht im Büro, sondern zu Hause oder sonst andernorts. Tresckow und Stauffenberg trafen sich mit ihren Schreibkräften, wenn sie beide in Berlin waren, zum Austauschen der Papiere und zu geheimen Besprechungen im Grunewald. Margarethe erzählte, wie sie einmal nach einem dieser Treffen zwischen Stauffenberg auf der einen und Tresckow auf der andern Seite die Trabener Straße entlangging, den Aufruf mit den Anfangsworten "Der Führer Adolf Hitler ist tot" unterm Arm, als plötzlich ein SS-Wagen scharf vor ihnen bremste und zwei SS-Leute heraussprangen.

Jetzt ist es um uns geschehen', war ihrer aller Gedanke – aber die SS-Leute hatten anderes im Sinn und rannten in ein benachbartes Haus. Das war eine der brenzligen Situationen, die mit Verhaftung und Verurteilung zum Tod wegen Hoch- und Landesverrat hätte enden können. Das eine Jahr bis zum 20. Juli 1944 verlebte Margarethe in ständiger Anspannung. Sie sprach natürlich mit niemandem über die Attentatspläne. Als dann das Attentat schiefging, wusste sie, dass sie verhaftet werden würde, floh aber nicht, sondern stellte sich bei den Verhören einfach naiv und ahnungslos – eine häufige List von Frauen, denen man ja keine Attentatspläne zutraute.

Sie wurde tatsächlich nach ein paar Wochen wieder entlassen und ging zurück an ihren Arbeitsplatz. Von dort aus pendelte sie "mang je Jefängnisse", wie ein Mitarbeiter von ihr sagte: das heißt sie besuchte die inhaftierten Verwandten der ermordeten Attentäter, tauschte Informationen zwischen ihnen aus und half allen, denen sie helfen konnte. Sie überlebte ihre Vorgesetzten und Freunde des Widerstands, erlebte das Ende des Krieges, fing danach unterschiedliche Tätigkeiten an, bis sie in der Finanzverwaltung der Familie Hardenberg landete. Hier schließt sich der Kreis, und wir stehen vor ihrer Wohnung mit Dankbarkeit für ihr Leben und ihr Vermächtnis.

Margarethe von Oven, spätere Gräfin von Hardenberg, war eine mutige, kluge, mitmenschliche Frau in schwierigsten Zeiten.

Es ist wunderbar, dass die Stadt Göttingen sich entschlossen hat, eine Plakette zu ihrem Gedenken anzubringen! Vielleicht fragen dann Vorübergehende sich, wer sie denn wohl war? Und eine solche Frage ist das Tor zur Geschichte, die nicht vergessen wird und die uns an Mut und Zivilcourage erinnert, an Risikobereitschaft und Widerstand gegen die Verletzung der Menschenwürde, und an die nicht endende Prüfung des Gewissens. Sie ermutigt uns damit immer wieder von Neuem, selbst Verantwortung für Recht und Gerechtigkeit und Frieden zu übernehmen.

Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen Nationalsozialismus"

Die Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" stellt Frauen vor, die sich mutig gegen das NS-Regime gestellt haben. Diese Frauen halfen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, besorgten gefälschte Papiere, organisierten den Widerstand oder verteilten Schriften. Die Ausstellung zeigt prominente und weniger bekannte Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern und verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Widerstands sowie die Bedeutung dieser Geschichte für uns heute. Das Dossier mit den Porträts aller Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus finden Sie unter diesem Link.

Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung.  Weitere Infos zur Ausstellung: ausstellung-leihen.de/frauen-widerstand-ausstellung

Diese Frauen sind Teil der Ausstellung "Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”:

  1. HANSCHE, Hildegard (1896-1992)  
  2. VADERS, Maria (1922-1996)  
  3. INAYAT KHAN, Noor-un-Nisa (1914-1944) 
  4. SEIDENBERGER, Maria (1927-2011) 
  5. STREWE, Lucie (1887-1981) 
  6. BEEK, Cato Bontjes van (1920-1943) 
  7. MOLTKE, Freya Gräfin von (1911-2010) 
  8. ROTHE, Margaretha (1919-1945) 
  9. BERGER, Hilde (1914-2011) 
  10. LEBER, Annedore (1904-1968) 
  11. KARMINSKI, Hannah (1897-1943) 
  12. OVEN, Margarethe von (1904-1991) 
  13. FITTKO, Lisa (1909-2005) 
  14. HAAG, Lina (1907-2012) 
  15. ABEGG, Elisabeth (1882-1974) 
  16. MENSAH-SCHRAMM, Irmela (*1945) 
  17. REICHERT-WALD, Orli (1914-1962)
  18. KERN, Katharina Käthe (1900-1985)

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